Reinhard Sielemann

Wie soll man die Erlebnisse und Erfahrungen zweier Menschen in 45 Jahren gemeinsamer Luftsportgeschichte auf einen Punkt bringen? Gar nicht, denn es geht nicht!

Nach einem ereignisreichen Tag sitzen wir abends in unserer Ferienwohnung; in Gersfeld, in Obernhausen, in Sieblos, in der Enzianhütte. Denn in die Rhön zieht es uns seit 1974, jährlich mindestens zweimal, bis zuletzt. Die Rhön, das meint Berge, Hänge, Fluggelände. Das ist unser Ding!

Bisweilen kommt das Gespräch auf die Anfänge zurück:

Anfang der 70er-Jahre schlägt Nachmittag für Nachmittag ein völlig durchgeknallter Volkschullehrer mit gleichermaßen begeisterten Youngstern auf dem Fluggelände des DO – X in Osnabrück-Hollage auf. Natürlich ist Reinhard einer von ihnen… Motto: Einführung in die „Grob“-und „Feinheiten“ des ferngesteuerten Segelflugs. Schwerpunktfach: Reparieren! Man lernt sich kennen. Und eigentlich hätte sofort alles wieder auseinander gehen müssen. Denn völlig unterschiedliche Ausbildungsverläufe bedeuten auch unterschiedliche Lebens-und Erfahrungswelten. Viel später stellt man fest, welch feste Klammer der Luftsport sein kann. Natürlich unterscheiden sich in Folge auch unsere beruflichen Werdegänge. Na und? Anfang der 80er fangen wir an, begeistert von der neuen Wettbewerbsklasse F-3-B, selbst zu konstruieren. Wenig später werden wir Kader-Piloten, Forschheit ist halt das Privileg der Jugend.

Und forsch sind wir, wie sonst wäre zu erklären, daß wir Mitte der 80er aus völlig abwegigen Gründen heraus anfangen Nurflügel zu konstruieren und zu fliegen. Seitdem heißt es:“Zanonia-Flyers-NurFlügel fliegen!“ Was nun folgt, ist teils Leidens-, teils Erfolgsgeschichte. Das Band der gemeinsamen Leidenschaft hält. Reinhard erwirbt sich im Zuge der einsetzenden Digitalisierung in den 90er- Jahren erhebliche Kompetenzen in den Bereichen Programmierung, Profilentwicklung und web-design. Nach der Jahrtausend-Wende kommt der Einstieg in die rechnergestützte Frästechnologie hinzu. Hegel sagt: „Intelligent sein, heißt alles lernen können, was andere können“.

Ja, intelligent ist der Junge! Und Wunder über Wunder: Reinhard, der zurückhaltende, der niemanden mit seinen Befindlichkeiten belästigt, entdeckt seinen Spaß an der Organisation und Durchführung von Sportveranstaltungen. Hunderte von Sportlern haben ihn seitdem in dieser Funktion kennengelernt. Obwohl die kommunikative Kompetenz nie sein Ding war, und ihn eine Hörschwäche zunehmend plagte. Einmal Techniker, immer Techniker.

Vielleicht ist es jetzt vier oder fünf Jahre her, natürlich wieder die Rhön. Reinhard und Hans-Jürgen definieren ihre Nurflügel neu. Es wird ein Gewaltakt noch nicht dagewesenen Ausmaßes, der alle Gewissheiten erschüttert, unsere zumindest. Und der unser beider Zukunft eigentlich hätte bestimmen sollen… Denn wir beide waren nie krankhaft ehrgeizig. Wir waren, wie Bloch sagt, eigentlich nur „…ins Gelingen verliebt“. Das aber zielorientiert!

Letztlich hat uns wohl diese Seelenverwandtschaft über Jahrzehnte hinweg verbunden. Abgesehen davon, daß den Menschen Reinhard Loyalität und Verläßlichkeit auszeichneten.

Reinhard hat uns am 2.1.17 im Alter von 59 Jahren verlassen. Nach fast genau einem Jahr voll mit Diagnosen und Therapien. Ohne physischen Schmerz, wie es scheint. Wie groß der seelische war, das kann und will ich mir nicht vorstellen. Wir hatten noch so viel vor.

Wenn ein „Mensch der leisen Töne“ die Bühne verläßt, wird es für einen Moment still, unerträglich still. Halten wir inne und bewahren wir Gedenken, bevor die monströse Kakophonie der Unwichtigkeiten sich der Erinnerung zu bemächtigen versucht.

Hans-Jürgen Unverferth

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